„Was den Menschen stört, ist kein gebrochenes Bein oder so. Ein Bein, was gebrochen ist, ist einfach nur ein Bein, was gebrochen ist. Der Rest ist, was wir daraus machen. „Oh, das Bein sollte nicht gebrochen sein. Das ist ungerecht.“ Und deswegen leiden wir.
Wir fahren einmal quer mit dem Auto durch Berlin. Ich erzähle dem Mann neben mir meine Zweifel hinsichtlich meiner Lebenssituation. Er schaut mich an und zieht eine Augenbraue hoch.
„Komm, ich erzähl dir eine Geschichte“, fängt er an.
„Dieser Blumenstrauß ist genau jetzt für uns schön. Ich
kann dir nicht versprechen, wie er morgen aussieht und
übermorgen ist er vermutlich verwelkt.
Aber wäre es nicht schade, wenn wir uns jetzt nicht über
seine Schönheit freuen können, nur weil diese morgen
vielleicht nicht mehr da ist?“
Ich meine, vielleicht muss ich bald sterben und dann
stand ich da ohne Glauben an irgendwas und dachte mir
„Vielleicht bist du bald tot und dann bist du weg. Du
und all die Liebe, die du zu deinen Kindern hast. Einfach ausgelöscht.“ und ich war so wütend. Ohnmächtig. Verzweifelt.
Traurig. Wirklich grenzenlos traurig.
Ich konnte es nicht ertragen. Suchte in Kirchen. In buddhistischen
Zentren. Las Bücher. Sprach mit Menschen.
Forschte nach irgendwas, was diesen subjektiv sehr stark
empfundenen Leidensdruck zu mindern imstande wäre.
Und belächelte insgeheim die Menschen, die ihre Antworten
in der Spiritualität fanden.
Einatmen. Ausatmen. Ich möchte mich genau auf diese
simple Tätigkeit konzentrieren. Auf mehr nicht. Meditation
ist gut. Ich weiß das. Ich habe sogar mal ein Referat
darüber gehalten. Gnihihi. Also: An nichts denken.
Hm, aber ich denke ja an was.
Meine Gedanken sind wie Wolken: ich beobachte, wie
sie kommen und wie sie gehen. Ich halte sie nicht fest.
Überhaupt gar nichts sollte ich festhalten. Genau so mache
ich das jetzt.
Jetzt tut der Rücken weh. Wer kann schon bitte die ganze
Zeit so gerade sitzen? Ach Mist, jetzt denke ich ja doch.
Wie viel Übung braucht es eigentlich, um das hier zu
beherrschen?
„Gib mir auch mal das Fernglas. Das muss ich mir angucken.“
„Nein, es würde dich vollkommen verstören.
Also pass auf:
Der Planet nennt sich Erde. Auf diesem leben die Menschen.
Und jetzt wird es kompliziert: Also, ihr Bewusstsein
ist in einem dort so bezeichneten Körper eingesperrt.
Sie wissen nicht, warum sie überhaupt an diesem
Ort sind. Es gibt dort Geburt und Tod. Manche glauben,
dass nach diesem sogenannten Tod ihre Existenz einfach
aufhört.
Krankheitsgewinn.
Was für ein unschönes Wort.
Im Bereich der Psychologie versteht man hierunter Vorteile,
die jemand bewusst oder auch unbewusst aus seiner
Krankheit zieht.
„Hallo! Sie sind unserer Redaktion in einem Artikel über Krebserkrankungen aufgefallen. Wir würden Sie gerne im Rahmen einer Reportage in Ihrem Alltag begleiten, um die Öffentlichkeit für Krebserkrankungen zu sensibilisieren.“
[überrumpelt]
„Äh, also mein Alltag ist ziemlich unspektakulär. Ich studiere, kümmere mich um die Kinder und nehme mei-ne regelmäßigen Arzttermine wahr. Hier ist jedoch nichts Spannendes zu erwarten.“
„Wäschehaus“
Ich finde den Begriff irgendwie antiquiert, aber er passt zu dem Ambiente, welches das Geschäft ausstrahlt. Hauttöne dominieren an den Ständern mit Miederhosen und praktisch aussehenden BHs und ich reiße sicher einen deutlichen Knick in das Durchschnittsalter der Kundschaft.
„Ich hätte gerne neue Brüste“, sage ich und lege mein Prothesenrezept auf den Tisch.
Warum tust du nicht mehr fürs Studium?
Warum tust du nicht einfach weniger fürs Studium?Warum verbringst du nicht mehr Zeit mit deinen Kindern?
Warum lässt du deine Kinder nicht länger im Kindergarten?
Warum lässt du deine Kinder so lange im Kindergarten?Warum nimmst du dir nicht mehr Zeit für Selbstfürsorge?
Warum machst du nicht öfter Sport?
Warum meditierst du nicht regelmäßig?
Warum machst du nicht einfach mal gar nichts? Warum ernährst du dich bei deiner Erkrankung nicht ausschließlich biologisch/vegan/regional/saisonal? Warum nimmst du dich selbst nicht wichtig genug?
Warum nimmst du dich selbst zu wichtig?