Jede Jahreszeit im Wald ist anders. Jetzt, mitten im Winter, ist alles von einer dichten Laubdecke überzogen. Es riecht nicht mal mehr leicht moderig wie im Herbst, sondern alles, selbst der Verwesungsprozess, scheint für den Moment eingefroren.
Beim Gehen sind die Geräusche der Blätter so laut, dass man außerhalb dieses Radius kaum noch was hören kann. Eingefrorene, raschelnde Blätter. Manchmal noch der Wind in den Ästen oder der, der einem ins Gesicht pfeift.
Fernab von Wegen begegnen wir keinen anderen Menschen. Eigentlich suchen wir Pilze. Die Winterzeit ist eine gute Pilzzeit, das wissen nicht viele. Austernseitlinge, Samtfußrüblinge, Judasohren oder auch der Goldgelbe Zitterling. Ein paar gute Birkenporlinge findet man zu dieser Zeit ebenfalls noch. Alles Pilze, denen Frost nichts ausmacht. Der 7Jährige erklärt dem 4Jährigen: „Guck mal, der Pilz ist oben glitschig und der Stiel ist gelb. Das ist also der gelbstielige Muschelseitling.“ Den kann man nicht essen, also lassen wir ihn hier.
Der 7Jährige sammelt überhaupt sehr gerne Pilze. Er sammelt sie nicht nur, er liest auch Bücher darüber und schaut Videos. Bemerkenswerterweise mag er sie nicht essen. Er mag auch nicht den Tee, den ich aus manchen Baumpilzen koche oder die Tinktur, die ich herstelle. Er will sie einfach nur suchen.
Im Wald ist man allein. Ich kann zwar versuchen, diese oder jene Merkmale einer Pflanze zu googeln, aber ich habe meist keinen Empfang. Manchmal tippe eine Nachricht für meinen Mann ins Handy: „Herrgott, die Kinder streiten sich die ganze Zeit und treiben mich noch in den Wahnsinn!!“ Aber mein Handy sendet die Nachricht nicht, also lasse ich es meist und stecke es wieder in die Tasche.
„Die Hände darf man übrigens nicht in den Taschen lassen, hört ihr!“, sage ich immer wieder und gehe mit schlechtem Vorbild voran. Wer mit Händen in den Taschen stolpert, fällt mit der Nase in den Dreck. Wie gut, dass man manchmal aus Erfahrung lernt.
„Und schaut nicht immer nur nach unten!“ ist ein weiterer Spruch, den ich mantraartig vorbete. Auch ein Blick nach oben (herabhängende Äste, abgeknickte Bäume) und in die Weite (Wild) ist obligatorisch, um sich sicher im Wald bewegen zu können.
„Achtet immer auf eure Sinne: sehen, hören, riechen“. All das ist wichtig hier im Wald.
Manchmal finden wir Schädel, außergewöhnlich geformtes Holz, seltene Pilzarten. Wir sehen Hirsche, Spuren von Wildschweinen und Hasenköttel.
Die Kinder spielen auf herumliegenden Bäumen. „Schau mal da, da ist ein neues Level“, rufen die Jungs und sprinten zum nächsten Baumstumpf, um von dort herunterzuhüpfen. Sie balancieren, klettern, werden dreckig und schneiden sich regelmäßig die Hände an Brombeerbüschen auf.
Es kommt vor, dass zum Ende niemand mehr gute Laune hat. Hunger, kalt, Durst. Nachdem die Klagelaute der Kinder abgeklungen sind, stampfen wir einfach nur geradeaus, niemand redet mehr. Irgendwann hört man nur noch die eigenen Schritte, die Atemgeräusche. Man spürt das Herz in seiner Brust schlagen. Ich kann nicht sagen, dass es dann Spaß macht. Das ist nicht das richtige Wort. Aber ich glaube, wir fühlen uns selten so lebendig und in Ordnung, wie dort draußen im Wald.