„Eine Glatze!“
Der 6jährige meint es erst mit seinem Wunsch. Die Haare sollen ab. Nicht nur auf wenige Millimeter abrasiert – hierauf lies ich mich vor einigen
Wochen schon ein – , sondern ganz ab.
„Aber warum denn?“, frage ich mal wieder und komme mir vor wie bei „Und täglich grüßt das Murmeltier“.
„Das habe ich dir schon so oft gesagt: WEIL ICH ES MÖCHTE! Das sieht cool aus.“
„Aber… ich habe noch nie ein Kind gesehen mit Glatze“, versuche ich mir ein neues Argument zu überlegen.
Der 6jährige guckt mich an als wolle er sagen, dass dieses Argument einfach keines ist.
Recht hat er.
Wir haben es mit allem möglichen probiert:
„Es könnte sein, dass die Kinder dann über dich lachen“
(„Mama, du sagst doch immer, wenn jemand über einen anderen Menschen lacht, lacht er in Wahrheit über sich selbst“).
„Dir könnte kalt werden.“
(„Dann setze ich eine Mütze auf“)
„Man könnte dich für krank halten“
(„Na und?“)
„Ja, na und?!“, sage ich mir irgendwann selbst und merke worauf die meisten meiner Argumente abzielen: Die Leute könnten sagen. Die Leute
könnten denken. Was für ein Shit.
Ich versuche es mit meinem Mann aufzudröseln:
„Naja, in unserem Kulturkreis ist es halt nicht üblich, Glatze zu tragen. Jedenfalls nicht für Kinder. Die werden dann komisch anguckt. Es wird geredet. Die Leute könnten urteilen. Über ihn. Über uns. Aber warum eigentlich? Nur weil er sich für eine andere Frisur entschieden hat, die nicht dem gängigen Standard entspricht? Wie eng man sich die Grenzen stecken mag, bleibt doch eigentlich jedem selbst überlassen.“
„Die Leute, die Leute“ denke ich mantramäßig und mittlerweile amüsiert, als der 6Jährige in der Badewanne hockt und ich ihm mit dem Nassrasierer
die Haare entferne. Alle Haare.
Hinterher steht er vor dem Spiegel, lacht, fässt sich über die Glatze.
Jeder muss ihm über die Glatze fassen.
„Ist das nicht cool, Mama?“
„Weiß ich noch nicht Schatz, aber DU bist auf jeden Fall cool“.