Ich habe meine Brüste verloren.
Es ist quasi jeden Morgen das gleiche. Mein Mann hebt ahnungslos die Schultern und ich suche die üblichen Plätze ab: im Schlafzimmer, auf der Waschmaschine oder auf dem Wühltisch im Flur werde ich meist fündig.
Ab und zu findet ein Kind sie zuerst und versucht den mit Prothesen ausgestatteten BH anzuziehen – das ist niedlich. Mein Mann macht manchmal spaßeshalber dasselbe – das ist nicht so niedlich und das lasse ich ihm durch das Hochziehen einer Augenbraue wissen.
Manchmal frage ich mich, warum ich das mache: mir Prothesen anzuziehen, die etwas vortäuschen, was gar nicht da ist.
Zuhause ist mir das egal: Tür auf, Brüste aus. #tohotforboobies
Ich habe versucht es aus biopsychologischer Sicht zu beleuchten: Ein Teil von mir möchte vermutlich gesellschaftlich anerkannt werden und dafür möglichst viel Gleichheit mit Artgenossen herstellen oder Gesundheit ausstrahlen. So wie Hühner, die ein krankes Huhn erkennen, es als Schwächung der Gemeinschaft ansehen und verstoßen.
Gottseidank haben die meisten Menschen die Fähigkeit zu darüber hinausgehenden Sichtweisen und das Hühnerbeispiel kann nicht viel mehr als ein nur in der Theorie gültiger Grund sein.
Es geht mir nicht darum, das Gefühl von Weiblichkeit für mich oder andere herzustellen. Durch das Verlieren der Brüste fühle ich mich nicht unweiblicher. Diese Worte werden oft nicht geglaubt und ich wundere mich manchmal selbst darüber, wie wenig meine empfundene Weiblichkeit durch den Verlust eines so geschlechtsspezifischen Merkmals gelitten hat.
Ich gehe morgens zwar ohne Brüste joggen (herrlich!), aber nach dem Duschen schlüpfe ich in meinen BH mit Vorbau. Und wundere mich darüber, warum ich das eigentlich mache.
Vielen Frauen ist es wichtig, Brüste chirurgisch wieder aufbauen zu lassen. Ich würde mir nie anmaßen, individuelle Wege beurteilen zu wollen.
Ich hingegen kenne das Gefühl, wenn ich auf Fragen wie „Möchtest du dir deine Brüste nicht wieder aufbauen lassen?“ mit Nein antworte und mein Gegenüber verständnislos den Kopf schüttelt.
Manchmal glaube ich, dass die Gesellschaft sich viel mehr durch meine nicht vorhandenen Brüste gestört fühlt, als ich selber.