„Du stirbst! Du stirbst nicht! Du stirbst!“
Das Kind in meinem Traum sieht aus wie eine Mischung
zwischen Alice im Wunderland und dem Brunnenmädchen
aus dem Film „the ring“.
Es rupft ein Blütenblatt nach dem anderen von einer
weißen Blume ab. Seine Stimme ist anfangs noch monoton,
wird aber zunehmend schriller. Lauter. Eindringlicher.
Es speit die Worte aus und ich kann sie trotz Händen
auf den Ohren in jeder Nervenbahn meines Körpers
spüren.
Ich wache schwitzend aus dem Albtraum auf. Moment,
ich kann doch gar nicht mehr schwitzen. Zumindest benötige
ich seit der Chemo kein Deo mehr, weil gewisse
Abläufe im Körper offenbar irreversibel geschädigt wurden.
Ich schwitze also nicht. Und, halt, vielleicht träume
ich auch nicht.
Wenn ich die friedlichen Vögel draußen kurz vor der
Morgendämmerung hören und durch das geöffnete
Fenster den Frühling riechen kann, wie kann das Chaos
in meinem Kopf dann so hässlich sein?
Leise schleiche ich mich aus dem Schlafzimmer und
schlüpfe in meine Laufschuhe. Ich fange an zu rennen,
als wäre es tatsächlich möglich meine Gedanken abzuhängen.
Mein Kopf pocht die ganze Zeit und mit jedem
Schritt mehr.
Wieder zuhause angekommen ist mir schwindelig. Ich
trinke einen Schluck und weiß, dass es immer zu wenig
ist. Seit der Bestrahlung der Lymphabflussbahnen im
Hals tut dieser ständig weh und fühlt sich an, als wäre er
plötzlich zu eng. Also trinke ich nicht, sondern lutsche
stattdessen einen Pfefferminzbonbon. Der erste aus
einer Packung, die heute Abend leer sein wird.
Resigniert von so ziemlich allem, öffne ich die Schlafzimmertür.
„Wie war das Laufen, Schatz?“
„Gut“, sage ich, weil ich schon so oft alles andere gesagt
habe und mir selbst gerade so verdammt überdrüssig bin.
Ich will die Worte nicht mehr sagen, nicht mehr denken,
nicht mehr spüren. Ich. habe. Angst. Die Schallplatte hat
längst einen Sprung.
Der Tag ist noch jung und schon so verbraucht, denke
ich.
Ich lege mich zwischen den Jüngsten und meinen Mann.
Warme Haut an meiner und dann kann ich zum ersten
Mal heute wieder richtig atmen.
Foto: ja, das ist ein brennendes Gänseblümchen.