Mit Physik kenne ich mich nicht gut aus. Im Herbst diesen Jahres traf ich eine Frau, die ihre Masterarbeit im Bereich der Quantenphysik geschrieben hatte. Die kannte sich gut aus. Und sie erzählte mir die aberwitzigsten Theorien darüber, was in dieser Welt und in diesem Universum eigentlich möglich wäre und wozu wir (noch) keinen Zugang haben.
„Die Wissenschaft beschreibt diese Welt so, wie wir sie nach derzeitigem Wissenstand erklären und verstehen können. Dieses Bild ist in höchstem Maße unvollständig“, sagte sie mir.
Sie sagte auch noch viel mehr. Sie sprach über Sinn und Unsinn, Zufall und Bestimmung, Liebe und ja, noch viel mehr über Liebe, denn hier erwähnte sie keinen Gegensatz.
Es gibt allerdings keinen Zufall, befand sie, sondern es würde alles einer universellen Ordnung folgen, zu deren Sinn und Gesetz wir nur so eingeschränkten Zugang haben, dass wir es schlicht nicht begreifen können. „Das ganze Universum verbirgt sich im kleinsten Teilchen.“
Und manchmal nickte ich ihr und ihren Worten zu, manchmal schüttelte ich ungläubig den Kopf und manchmal verstand ich sie auch einfach nicht.
Sie sagte „Wenn du Morgen früh gehst, wirst du nicht mehr dieselbe sein“ und ich fand diese Worte zu hoch gegriffen.
Und nun, heute Nacht, dachte ich erneut über ihr Gesagtes nach.
„Alles hängt mit allem zusammen“, waren ihre Worte und es scheint mir für das menschliche Gehirn nur schwer vorstellbar, dies in seinem wahren Ausmaß zu begreifen.
Dass ich hier jetzt bin und genau so denke, aussehe und das tue, was ich gerade tue, ist das Ergebnis von unzähligen Ereignissen und Entscheidungen nicht nur von mir für mein Leben, sondern auch von jedem anderen Lebewesen dieser Welt. Der Schmetterlingseffekt der Chaostheorie sozusagen. Kleine Sachen sind niemals so klein wie sie scheinen, sondern haben Auswirkungen auf alles und jeden.
Banal erscheinende Situationen können das eigene Leben und das anderer, und damit den gesamten Verlauf der Weltgeschichte, beeinflussen.
Da sitze ich beim Friseur und rede mit der Friseurin. „Ne, bitte nur ganz wenig abschneiden. Ich hatte eine Chemo und freue mich nun über jeden Millimeter Haare.“
Eigentlich weiß ich es, aber manchmal vergesse ich, dass meine Normalität andere Leute oft berührt, erschüttert oder noch viel häufiger verstört.
Ja, man sollte Gesundheit doch viel mehr wertschätzen, stellt die Friseurin fest und fügt hinzu, „nein, nicht man sollte das, sondern ich, und das mache ich jetzt auch!“
Und ich denke mir, ja, sie hat recht, weil auch ich das oft vergesse.
Vielleicht tut sie nun etwas, was ihr Leben beeinflusst, vielleicht bucht sie heute Abend einen Hypnosekurs, hört dann auf zu rauchen, lebt dadurch länger, kann ihre Enkelin noch viele Jahre begleiten und daraus entsteht dann wieder irgendwas.
Jeder Mensch, egal wie alt, wie schlau oder wie einflussreich, beeinflusst diese Welt in einem schier unvorstellbaren Maße. Nichts auf dieser Welt wäre so, wie es wäre, wenn du nicht in ihr wärst.
Und in diesem Beispiel eben waren mögliche Folgen plastisch vorstellbar und das sind sie in den meisten Fällen eben nicht:
Ich gehe morgens fünf Minuten später los, weil ich den Wutanfall des 5Jährigen abwarten muss. Hätte er diesen Wutanfall nicht gehabt, hätte mein Weg mit dem Auto vielleicht den eines Betrunkenen zu einem ungünstigen Moment gekreuzt, wodurch dann wiederum viele Leben nicht mehr die wären, die sie vorher waren.
Ich meine, wie viele vermeintliche Zufälle mussten geschehen, damit sich eure Großeltern kennenlernten und wo wärt ihr heute, wenn dies nie geschehen wäre? Was musste in eurem Leben alles geschehen, damit alles genauso ist, wie es gerade ist und wer bekommt bei dem Versuch der Vorstellung eines Gesamtbildes eigentlich keine Kopfschmerzen?
Jede noch so kleine Handlung, jedes gekaufte oder nicht gekaufte Brötchen, jede ausgesprochenen oder unausgesprochenen Worte, jeder Streit und jede Beziehung, sogar jeder Blick oder jedes Wegschauen – alles beeinflusst alles. Und heute Nacht habe ich genau darüber nachgedacht. Darüber, das nichts banal ist, nichts per se richtig oder falsch ist und sich eigentlich überall ein Wunder verbirgt.