„Der Tag, an dem ich mich mit der Krebserkrankung
versöhnte“ wäre eine Headline, die zu hoch gegriffen
wäre und so nenne ich es lieber „ein weiterer Tag, der
mich etwas über das Leben gelehrt hat“.
Meine Psychoonkologin hat sich wirklich schon sehr
merkwürdige Gedankengespinste meinerseits anhören
müssen und so schauen wir uns gemeinsam meine Theorie
darüber an, ob ich auch erkrankt wäre, wenn ich damals
mit meinem allerersten Freund zusammengeblieben
wäre, einen anderen Beruf erlernt hätte und/oder woanders
leben würde.
„Ich mein ja nur,“ führe ich schulterzuckend aus. „Krebs
hat meist multifaktorelle Ursachen und wären meine
Lebensumstände und -gewohnheiten, Ort und Immunsystem
zu einem bestimmten Zeitpunkt anders gewesen, dann
hätte diese eine verdammte Zelle vielleicht nicht
entarten können oder wäre vom Immunsystem rechtzeitig
erkannt und eliminiert worden“.
„Hätten Sie ein anderes Leben gewählt, dann hätten Sie
heute aber beispielsweise nicht die drei Kinder, die Sie
haben“ gibt meine Therapeutin zu bedenken.
Ich gebe zu, dass dieses theoretische Problem meines
abstrakten
Gedankenkonstrukts mir tatsächlich Schwierigkeiten bereitet
hat. Ich überlege, welcher Schluss sich daraus denn
ziehen ließe.
„Also wenn ich an irgendeinem Zeitpunkt meiner Vergangenheit
durch andere Entscheidungen die
Krebserkrankung hätte verhindern können, das aber bedeutet
hätte, dass ich auch meine Kinder nicht bekommen
hätte, dann würde ich mich immer für die Kinder
entscheiden und den Krebs in Kauf nehmen“.
Meine Therapeutin versucht nachzuvollziehen, warum
ich jetzt weine.
„Weil ich wieder gemerkt habe, dass Liebe
so viel stärker ist, als Krebs. Und weil es mein Leben
halt nur in dieser einen Version gibt, die all das Gute und
all das Schlechte beinhaltet. Und ich dieses Leben trotzdem